Was ist die Kirche/Gemeinde?

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Zunächst einige Definitionen von Kirche:

Nicäno-Konstantinopolitanum (451)
Wir glauben an … die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.

Apostolisches Glaubensbekenntnis (5.Jhd)
Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche

Confessio Augustana, Melanchton Artikel 7 (1530):
Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden.

Luther, Schmalkaldische Artikel XII (1536):
Denn es weiß Gott Lob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören.

Heidelberger Katechismus, Frage 55 (1563):
Was verstehst du unter der Gemeinschaft der Heiligen? Erstens, daß alle und jede Gläubigen als Glieder an dem Herrn Christus und allen seinen Schätzen und Gaben Gemeinschaft haben. Zweitens, daß ein jeder sich schuldig wissen soll, seine Gaben zum Nutzen und Heil der anderen Glieder willig und mit Freude zu gebrauchen.

Glaubensbasis der Evangelische Allianz (1977):
Wir bekennen uns zum Priestertum aller Gläubigen, die die weltweite Gemeinde bilden, den Leib, dessen Haupt Christus ist, und die durch seinen Befehl zur Verkündigung des Evangeliums in aller Welt verpflichtet ist;

Zunehmend wurde in den letzten Jahren von der Wotwurzel des griechischen Wortes „Ekklesia“ argumentiert. Vor allem bei Johannes Reimer, die Welt umarmen, S.36:

„Etymologisch leitet sich der Begriff vom griechischen ek-kaleo ab und meint so viel wie „die Herausgerufene“. Der Begriff wurde außerbiblisch seit dem 5. Jahrhundert vor christus für die Vollversammlung der wahlberechtigten Bürger der griechischen Stadt, der polis gebraucht. Diese politische Versammlung war nur den freien Bürgern einer Stadt zugänglich. Nur sie wurden zur ekklesia gerufen. (…) Die inhaltlichen Parallelen von quahal und ekklesia müssen den Übersetzern der LXX deutlich vor Augen gestanden haben: In beiden Fällen handelt sich um einen Begriff des Volkes als Gemeinschaft, die als Resultat besonderer Stellung und damit auch besonderer Verantwortung für das Wohl dieser Gemeinschaft zusammengerufen wird. Sowohl quahal als auch ekklesia meinen diese Gemeinschaft umfassend, ganzheitlich. Es sind sozio-politische Begriffe mit weitreichenden Folgen für die zugehörigen Mitglieder des Gemeinwesens.“

Im Neuen Testament gibt es viele Bilder für die Gemeinde/Kirche (Körper/Leib, Licht der Welt, Jungfrau/Braut, Tempel, …). Ich will v.a. auf das Bild der Schafe eingehen.

Luthers einfache ekklesiologische Definition lautet:
„Schafe, die ihres Hirten Stimme hören.“

1. Jesus ist der gute Hirte
Joh 10,11
Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.

2. Unser Auftrag ist es, auf die Stimme des Hirten zu hören
Joh 10,27
Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir;

3. Jesus fordert uns heraus, sich Gefahren auszusetzen
Mt 10,16
Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe

4. Jesus achtet auf seine Gemeinde, keiner der wahrhaftig zu ihm gehört, geht verloren
Mt 18,12
Was meint ihr? Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eins von ihnen sich verirrte, lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen und geht hin und sucht das irrende?

5. Jesus wird die wahren Nachfolger erkennen
Mt 25,32
und vor ihm werden versammelt werden alle Nationen, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirte die Schafe von den Böcken scheidet. Und er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken.

6. Jesus gibt uns den „Hirten-Auftrag“ weiter, und setzt uns stellvertretend als Hirten ein; aber Jesus bleibt der einzigartige Hirte über allen
Joh 21,16
Wieder spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht er zu ihm: Hüte meine Schafe!
Apg 20,28
Habt acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in welcher der Heilige Geist euch als Aufseher eingesetzt hat, die Gemeinde Gottes zu hüten, die er sich erworben hat durch das Blut seines eigenen Sohnes!
1Petr 5,2
Hütet die Herde Gottes, die bei euch ist, nicht aus Zwang, sondern freiwillig, Gott gemäß, auch nicht aus schändlicher Gewinnsucht, sondern bereitwillig,

Zusammenfassend:

Gemeinde/Kirche ist dort, wo Menschen anfangen Jesus nachzufolgen (Schafe dem Hirten). Sie orientieren sich an seinem Wort (Stimme des Hirten). Sie lassen sich herausfordern, Risiken einzugehen (Schafe unter Wölfen). Sie sind beschützt und werden bewahrt durch Jesus (kein Schaf geht verloren). Sie folgen Jesus authentisch nach (Schafe von den Böcken werden unterschieden). Sie lassen sich als Leiter berufen und übernehmen die Verantwortung, andere in der Nachfolge zu führen. (Hüte meine Schafe!)

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Die „BELLS“ Strategie nach Kolosser 2,4-6

Kol 2,4-6
2 Betet mit aller Ausdauer, voll Dankbarkeit gegenüber Gott und ohne in eurer Wachsamkeit nachzulassen. 3 Tretet auch für uns ein, wenn ihr betet! Bittet Gott, uns eine Tür für seine Botschaft zu öffnen. Dann können wir das Geheimnis weitergeben, das Christus uns enthüllt hat und für das ich im Gefängnis bin. 4 Betet, dass ich meinen Auftrag erfüllen und dieses Geheimnis klar und verständlich verkünden kann. 5 Verhaltet euch klug im Umgang mit denen, die nicht zur Gemeinde gehören. Wenn sich euch eine Gelegenheit bietet, ´euren Glauben zu bezeugen,` dann macht davon Gebrauch. 6 Eure Worte sollen immer freundlich und mit dem Salz ´der Weisheit` gewürzt sein. Dann werdet ihr es auch verstehen, jedem, ´der mit euch redet,` eine angemessene Antwort zu geben.

Es scheint so, als beinhalten die Bibelverse 2 Typen von Evangelisation:

  • Die Kolosser sollen für Paulus beten (V.3-4). Er ist der Evangelist, der die „Geheimnisse klar und verständlich“ verkündigen möchte.
  • Die Kolosser sollen für sich selbst beten (V.5-6). Sie sollen einen evangelistischen Lebensstil leben, „klug“ und „freundlich“ sein. Antworten auf die Fragen der Leute, die nicht zur Gemeinde gehören.
Die Art des Dienstes Prioritäten Die Art der Botschaft
Begabter Evangelist Klare und verständliche Botschaft,
Sucht nach Möglichkeiten der Verkündigung
Starke Verkündigung der Botschaft
Evangelistischer Lebensstil Gebet, Klug sein, freundlicher Umgang weise freundliche Worte,
bereit zur Antwort 

 

Es gibt eine Parallelstelle die ebenfalls von solch einem Evangelistischen Lebensstil spricht, in 1.Petr 3,15-16:

„seid jederzeit bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch auffordert, Auskunft über die Hoffnung zu geben, die euch erfüllt. Aber tut es freundlich und mit dem gebotenen Respekt“

Das heißt für die Gemeinde, dass sie Ausschau halten sollte nach begabten Evangelisten, die gefördert werden sollten die Botschaft des Evangeliums öffentlich zu verkündigen und dass die Gemeinde alle Christen motivierten sollten, zu einem Christsein, dass offen ist für zahlreiche Fragen von Leuten die noch nicht zur Gemeinde gehören. Wir sollten Evangelisten motivieren, dass sie nicht zu den untragbaren Typen gehören die ständig das gleiche Thema haben. Und wir sollten uns, die wir nicht unbedingt Evangelisten sind, herausfordern, zu einer Art von Christsein zu leben, dass tatsächlich Leute anregt uns mit Fragen zu bombardieren.

Wie geht das? Wie können wir Christsein so leben, dass viele uns ausquetschen wollen?

Es gibt eine alte Kommunikationsregel: Wenn die Antwort vorhersehbar ist – wird nicht danach gefragt. Andererseits: Wenn die Antwort überraschend ist – bekommt man die volle Aufmerksamkeit. Das ist vielleicht eine grundlegende Regel die man sich für manches Gespräch merken sollte. Aber es gibt von Michael Frost einen Vorschlag für „five habits of highly missional people“ die es sich lohnt genauer anzuschauen:

  1. Bless    (Segnen)
    Ich werde drei Personen diese Woche segnen, mindestens eine Person, die noch kein Christ ist.
  2. Eat       (Essen)
    Ich werde mit drei Personen diese Woche essen, mindestens eine Person, die noch kein Christ ist.
  3. Listen (Hören)
    Ich werde mindesten einmal in der Woche mir Zeit nehmen, um auf die Stimme des Heiligen Geistes zu hören.
  4. Learn  (Lernen)
    Ich werde mindestens einmal in der Woche mir Zeit nehmen, um zu lernen, was es bedeutet Jesus Christus nachzufolgen.
  5. Sent   (Gesandt sein)
    Ich werde in der Woche mir Notizen machen von den Begebenheiten, wo ich andere Menschen auf Gott hingewiesen habe (durch Worte & Taten).

Du willst endlich „evangelistisch“ leben ohne Dich zu verbiegen?
Probiere Doch mal die „BELLS“ Strategie aus!

Die „Bells“ Strategie ist nach Michael Frosts Buch:
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Surprise the World: The Five Habits of Highly Missional People

 

Was ist die größte Herausforderung für die Kirche im 21. Jahrhundert?

Einige Auszüge aus dem genialen Buch von Alan Hirsch „Vergessene Wege“:

S.144

Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen im lokalen Dienst, den ich zu Beginn dieses Buches beschrieben habe, bin ich zu folgender Überzeugung gekommen: Für uns Christen, die wir in der westlichen Welt leben, ist die Hauptherausforderung nicht der Buddhismus mit all seinen philosophischen Ansätzen, noch ist es der Islam mit all seinen Herausforderungen an die westliche Kultur. Es ist auch nicht die New-Age-Bewegung, die eine Bedrohung darstellt; denn es gibt eine echte Suche in neuen religiösen Bewegungen. Das wiederum kann für uns, die ihren Glauben teilen möchten, tatsächlich ein Plus sein. All diese Bewegungen sind für uns ohne Zweifel Herausforderungen, aber die größte Bedrohung für die Glaubwürdigkeit unseres Glaubens ist die Konsumorientierung.

Trotz aller Fehler spielte die Kirche bis zur Zeit der Aufklärung die beherrschende Rolle in der Vermittlung von Identiät, Bedeutung, Zweck und Gemeinschaft – in der westlichen Welt mindestens elf Jahrhunderte lang. Ihr Abschwung oder besser: ihr erzwungener Rückzug begann, als zwei, drei andere große Mächte ihren Aufstieg erlebten:

– Der Aufstieg des Kapitalismus und des freien Marktes als Vermittler von Wert

– Der Aufstieg der Nation/des Staates als Vermittler von Schutz und Vorsorge

– Der Aufstieg der Wissenschaft als Vermittler der Wahrheit und des Verstehens

WIr zeigen den Glauben nicht länger öffentlich. Christsein wurde zur Privatsache anstelle einer allgemeinen Wahrheit. Mitte des 20. Jahrhunderts hatten diese Kräfte die Kirche in unserer Kultur komplett ersetzt. Kaum jemand zweifelt heute noch an der nahezu totalen, willkürlichen Macht der Wirtschaft, des Staates und der Wissenschaft in unserem Leben. Genau hier findet die große Mehrheit der Menschen ihre Wegweisung und Bedeutung. Nun gelangen wir ins 21. Jahrhundert und die dominanteste Macht der drei – diejenige die unser Leben total durchdringt – sind die globale Wirtschaft und die Märkte. Unter diesem allgegenwärtigen Einfluss werden Erlebenisse, schließlichen das Leben selbst, zu einem Gebrauchsgegenstand. In solch einer Wirtschaft werden die Menschen bloß als Verbraucher gesehen. Die Vororte dieser Erde bauen sich um die zentralen Konsumtempel herum, die Einkaufszentren. Teenager spazieren ziellos die seelenlosen Korridore auf und ab, als ob sie nach einer Antwort suchen, die ihnen irgendwie in den Schaufenstern zu entwischen scheint. Ihre Eltern bummeln durch dieselben Einkaufszentren, um sich eine Dosis „Shopping-Therapie“ zu gönnen.

Es wurde oft festgestellt, dass wir in einer postmodernen Umgebung neue Identitäten annehmen können, wie man Kleidung wechselt. Wir tun genau das, wenn wir entweder in pulsierende Innenstadt oder an die Randgebiete ziehen und sesshaft werden, unseren Kleidungsstil verändern, unsere Freunde wechseln und nach neuen suchen, oder uns dieses oder jenes Produkt kaufen, das uns zu dem neuen attraktiveren Netzwerk von Menschen zugehörig macht.

… 

In diesem Licht kann man leicht erkennen, wie „Kirchenshopping“, ekstatische Worship-Events und sogar christliche Spiritualität an den Punkt kommen können, dass sie eine Konsumorientierung des Glaubens darstellen.

Der Gottesdienst, der die Herzen und Köpfe der Zuhörer durch Kreativtät unterhält, verkommt nun zur reinen Unterhaltung, die darauf abzielt, den Teilnehmern transzendente emotionale Hochs zu vermitteln…

Vertreter der Gemeindewachstumsbewegung haben uns genau erklärt, wie man das Produkt verkauft und zuschneidet, um es dem Zielpublikum anzupassen. Sie rieten uns dazu, Einkaufszentren nachzumachen und auf die Gemeinde anzuwenden, um ein bequemes religiöses Einkaufserlebnis zu schaffen, das unseren Bedürfnissen entspricht. Sie meinen es aufrichtig und verfolgen eine gute Absicht, aber sie müssen sich auch total ignorant bezüglich der Auswirkungen ihres Ratschlages gewesen sein – denn man Ende hat das Medium so leicht die Botschaft platt gemacht. Das konstantinische Christentum, attraktional, wie es nun mal ist, und von Profis betrieben, war schon immer empfänglich für Konsumorientierung. Doch unter dem Einfluss der modernen Gemeindewachstumspraxis wurde Konsumorientierung sogar zur treibenden Ideologie des gemeindlichen Dienstes. Schon die Form unseres Kirchengebäudes sagt alles. Mindestens 90% der Gottesdienstbesucher sind passiv. Mit anderen Worten: Sie konsumieren. Sie sind die passiven Empfänger religiöser Waren und Dienstleistungen, die größtenteils von Profis, in gekonnter Präsentation und serviceorientiert, geliefert werden. Fast alles, was wir in diesen irgendwie standardisierten Gottesdiensten und „Box-Kirchen“ tun, machen wir, um Leute anzuziehen. Es ist die ultimative religiöse Version des Einkaufs beim Komplettanbieter – steuerfrei. Damit schütten wir noch mehr Öl in die unersättliche Flamme des Konsums. Ich bin zu der gefürchteten Schlussfolgerung gekommen, dass man den Weg in die Nachfolge schlicht nicht konsumieren kann. Die Konsumorientierung, wie wir sie täglich erleben, und die Nachfolge, wie sie in der Bibel beschrieben wird, sind Gegensätze. Und beide zielen auf die Herrschaft unseres Lebens, nur dass das im Marketing dann „Markenloyalität“ und „Markengemeinschaft“ heißt.

 Macht euch also keine Sorgen! Fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? 32 Denn um diese Dinge geht es den Heiden, ´die Gott nicht kennen`. Euer Vater im Himmel aber weiß, dass ihr das alles braucht. 33 Es soll euch zuerst um Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit gehen, dann wird euch das Übrige alles dazugegeben. (Mt 6,31-33)

Konsumorientierung ist fürchterlich heidnisch. Heiden rennen diesen Dingen hinterher (griech epizeteo – „suchen, wünschen, wollen; nachlaufen, suchen nach“).

….

Sogar diese Renovierungssendungen prägen uns heidnisch, denn sie richten uns auf das, was uns so leicht versklavt. Die Banalität der Konsumorientierung erreicht einen Höhepunkt, wenn wir der Lüge glauben, dass eine neue Küche oder ein moderner Anbau uns wirklich erfüllen würde – was in Wirklichkeit nur unsere Hypotheken und Familien belastet. Diese Sendungen sind weit erfolgereichere Prediger des Unglaubens als der glatte intellektuelle Atheismus, denn sie treffen uns dort, wo wir Vertrauen und Loyalität entwickeln. Die meisten Menschen sind empfänglich für die abgöttischen Verlockungen von Geld und Besitz. Wir sollten uns daran erinnern, was Jesus darüber sagte, zwei Herren gleichzeitig zu dienen und den Dingen hinterherzurennen (Mt 6,24-33).

S.242

Eine der Lektionen aus meiner 15-jährigen Praxis bei der South Melbourne Restoration Community ist die: Als wir als Gemeinde wuchsen und mehr und mehr klassische Gemeindewachstumsprinzipien anwendeten, wurde es immer schwerer für uns, Gott inmitten dieses technischen Systems zu entdecken, das wir für nötig hielten, um die „Kirche am Laufen zu halten“. Zahlenmäßiges Wachstum schien damit einherzugehen, dass wir uns immer weiter vom natürlichen Rhythmus des Lebens, vom unmittelbaren Dienst an den Menschen, wegbewegten. Unsere Leitungsaufgaben wurden mehr und mehr Verwaltungsaufgaben. Aber diese „Mechanisierung“ des Dienstes betraf nicht nur die Letung; das Leben der Menschen unserer Gemeinde wurde immer stärker durch unsere Programme gefüllt, so dass sie immer weniger aktive Beziehung zu Menschen außerhalb hatten. (Inzwischen weiß ich, dass das in den meisten zeitgemäßen Formen von Kirche der Fall ist.)

Jüngerschaft als Schlüssel für Gemeindwachstum

„Nicht Anbetung ist das organisierende Element der Gemeinde, sondern Mission“ so Michael Frost. In einer attraktionellen Gemeinde, ist Anbetung das organisierende Element und die Gemeinde konzentriert sich auf ihr attraktives Programm, z.B. den Gottesdienst. In einer missionalen Gemeinden (oder auch „simple church“) werden die Christen ausgesandt in „Third Places“ (First Place: Family; Second Place: Job; Third Place: Hobbies, Fitnessstudio, Café, …) um dort Gemeinden zu gründen.

Es gibt innerhalb der missionalen Bewegung ein zweites starkes Element: „Jüngerschaft„. Vor allem Neil Cole, Floyd McClung, David Watson aber auch Alan Hirsch setzen sich für starke verbindliche Jüngerschaft ein. Das Niveau ein Jünger zu sein, wird nicht niedriger gesetzt, sondern höher gesetzt! Die Intention dahinter: Sie investieren sich nur noch in Menschen, die wirklich auch den Wunsch haben, verbindlich ein Jünger von Jesus zu sein. Die Begründung liefert der Missionsauftrag: „machet zu Jüngern“. Sie sehen einen Aufruf zur Multplikation.

Es ist in der Tat so, dass diese Stärke dieser Bewegungen, die größte Schwäche der attraktionellen Gemeinden ist. Es wird gerungen, durch diverse „Leiterschaftstrainings“ oder „Mentoring“-Modelle das Thema Jüngerschaft anzupacken, aber die Ergebnisse sind ernüchternd. Die Quote bleibt, 80% der Gemeinde sind passiv, 20% stark aktiv. Oft dauert das Leiter-Training zu lang und es ist zu komplex. Der Jünger ist angefüllt mit Wissen, wächst aber nicht in seiner Nachfolge. Neil Cole und David Watson haben erkannt, das Problem ist nicht Wissen.  Es hat sich in den Gemeinden gezeigt, dass der Glaube nicht durch Verantwortung über Programmaktivitäten wächst; im Gegenteil, viele (starke) Mitarbeiter fühlen sich belastet durch die vielen (sachlichen) Aufgaben, in denen sie keinen Bezug mehr zum Reich Gottes sehen.

Welche Möglichkeit haben attraktionelle Gemeinde? Der Weg muss ein radikaler sein. Ein Beispiel aus dem Buch „Vergessene Wege“ von Alan Hirsch (S.181):

Die Kirchengemeinschaft Zoê hat dabei einige drastische Maßnahmen ergriffen, um ihre von Konsum geprägten Gottesdienstteilnehmer zu „entwöhnen“, damit sie zu aktiven Mitarbeitern in den unterschiedlichen, lokalen Missionaktivitäten werden. Dazu haben sie vor allem die Attraktivität ihrer Veranstaltungen gesenkt, konsequenterweise sank die Zahl der passiven Gottesdienstbesucher. Die Gemeinschaft ist jetzt viel mehr in die Gesellschaft vor Ort integriert und gestaltet das kulturelle Leben aktiv mit. Ihre missionale Wirkungskraft hat sich durche ihre Veränderung hin zu inkarnatorischer Mission drastisch erhöht.

Was ist die Kirche/Gemeinde?

ein Zitat von Lesslie Newbigin aus „The Gospel in a Pluralist Society“ (gefunden bei Tim Keller – Church Planting Manual, S.30):

„Die Gemeinde ist eine Instanz, die viele Staaten, Nationen und Reiche überdauert hat und diejenigen überdauern wird, die heute existieren. Die Gemeinde ist nicht anderes als die Bewegung, die ihr souveräner Herr in das öffentliche Leben der Welt hineingeworfen hat, um seine Aufgabe fortzuführen, bis sie bei seiner Wiederkunft in Herrlichkeit vollendet sein wird. Sie hat sein Versprechen, dass die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. Trotz der Verbrechen, Fehltritte, Kompromisse und Fehler, von denen ihre Geschichte befleckt wurde und bis heute befleckt wird, ist die Gemeinde die große Realität, der gegenüber Nationen, Reiche und Zivilisationen nur vergehende Erscheinungen sind. Die Kirche darf sich nie damit abfinden, eine ehrenamtliche Gemeinschaft zu sein, die sich lediglich mit privaten und häuslichen Angelegenheiten beschäftigt. Sie ist vielmehr dazu verpflichtet, im Namen des einen Herrn alle Mächte, Ideologien, Lügengespinste, Theorien und Weltanschauunen, die ihn nicht als Herrn anerkennen, infrage zu stellen. Wenn dies Konflikte, Schwierigkeiten und Ablehnung mit sich bringt, dann haben wir das Vorbild Jesu und seine Erinnerung daran, dass ein Diener nicht größer ist als sein Meister.“

Wie haben sie das geschafft?

(Ein Auszug aus Alan Hirsch, Vergessene Wege, S.22-24)

Vor einigen Jahren besuchte ich ein Seminar über missionale Kirche. Der Redner fragte: „Was meint ihr, wie viele Christen gab es im Jahr 100 n.Chr.? Und wie viele Christen gab es, kurz bevor Konstantin auf der Bildfläche erschien, sagen wir, 310 n.Chr.?“ Hier sind die überraschenden Antworten:

100 n.Chr.: mindestens 25.000 Christen

310 n.Chr.: bis zu 20.000.000 Christen

Dann stellte der Referent die Frage in den Raum, die mich bis heute verfolgt: „Wie haben sie das geschafft? Wie sind sie in nur zwei Jahrhunderten von einer kleinen Bewegung zur wichtigsten religiösen Macht im römischen Reich gewachsen?“ Das ist eine Frage! (…)

Jetzt stelle ich Ihnen diese Frage – wie haben die frühen Christen das hinbekommen? Und bevor sie antworten, sind hier einige Fakten, die Sie dabei berücksichtigen sollten:

– In jener Zeit waren sie Teil einer illegalen Religion. Im besten Fall wurden sie toleriert; im schlimmsten Fall hart verfolgt.

– Sie hatten keine Gemeindegebäude, wie wir sie kennen. Archäologen haben zwar Kapellen aus dieser Zeit gefunden, aber die waren eher die Ausnahme. Diese Kapellen waren sehr kleine umgebaute Häuser.

– Sie verfügten noch nicht einmal über die Bibel, wie wir sie kennen. Zu dieser Zeit wurde der Kanon erst erstellt.

– Es gab keine Institution/Ordnung oder professionelle Form von Leitung, die wir normalerweise damit verbinden. In Zeiten relativer Ruhe erschienen prototypische Elemente von Strukturen, aber das war nichts, was wir als institutionell bezeichnen würden, eher vor-institutionell.

– Sie hatten keine ausgesprochene besucherfreundlichen Gottesdienste, Jugendgruppen, Worship-Bands, theologische Seminare, Bibel-Kommentare, etc.

– Tatsächlich stellten sie hohe Anforderungen, um Teil der Kirche zu werden. Im späten zweiten Jahrhundert mussten ehrgeizige Konvertiten ein anspruchsvolles Aufnahmeverfahren durchlaufen, um zu beweisen, dass sie es wert waren.
In der Tat gab es damals nichts von dem, was wir normalerweise einsetzen würden, um die Probleme der Kirche zu lösen. Und dabei wuchsen sie von 25.000 auf 20 Millionen in 200 Jahren! Also, wie hat es die frühe Kirche nun geschafft? Wenn wir diese Frage beantworten, dann finden wir vielleicht auch die Antwort auf die Frage nach der Kirche unserer Tage und ihrer Mission in unserem Kontext. In der Antwort offenbart sich das Geheimnis der Urgemeinde.

Prinzipien zur Bibelauslegung

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1. Die Bibel hat Vorrang vor Traditionen. Doch ist die Bibel selbst durch einen kirchengeschichtliche Geschichte entstanden, welche geprägt war von Prinzipien & Traditionen: Der Kanonisierung

Die Bibel ist Gottes Offenbarung und höchste Autorität. Höchste Autorität haben nicht die Bischöfe oder die Prinzipien die Gottes Wort erkannt haben. Die Konzile haben lediglich Gottes Wort als Gottes Offenbarung erkannt. Aber sie haben es nicht autorisiert. Gottes Wort hatte schon vorher Autorität. Sie haben die Autorität erkannt.

2. Die Bibel ist die heilige Schrift Gottes. Sie ist heilig, weil sie „inspiriert“ ist. Sie ist geprägt von Gottes heiligem Geist. Sie ist geprägt von Jesus. Die Bibel war nicht nur Gottes Wort für die Menschen – sondern sie ist immer noch Gottes Wort an die Menschen.


Eph 6,17:            das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.
Joh 6,63:            Jesus sagt: Der Geist ist’s, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben.
Kol 3,16:             Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen
Hebr 4,12:          Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.

 3. Gott hat sich immer subjektiv und nie objektiv offenbart.
Gott hat sich immer in der Kultur offenbart. Sei es in aramäisch, griechisch oder hebräisch, er hat immer die kulturelle Sprache benutzt und Sprache ist immer für Fehlinterpreation offen. Gott lässt es zu, dass er falsch interpretiert werden kann.

Dass die Bibel die nicht als objektives Wort Gottes vor mir liegt, hilft mir auch auf Gott zu vertrauen. Ich vertraue auf Gott und auf seine Führung durch den Heiligen Geist in meiner Auslegung, dass sein Wort zu mir spricht.

 4. Die Bibel ist zu 100% Gottes Wort.
Jede Entscheidung für eine Übersetzung, jede Entscheidung für einen Grundtext ist eine menschliche Entscheidung die auf Gottes Führung vertrauen kann. Es gibt Randbereiche (0,01%) in welcher wir als Ausleger oder Übersetzer noch keine Klarheit haben, welche zu Gottes Wort gehören oder wie es zu übersetzen ist. Dies ist aber ein Mangel an mir als Ausleger oder auch ein Mangel an den Übersetzern und nicht ein Mangel an Gottes Inspiration. Für Jesus war das überlieferte AT vollständig Gottes Wort. Und an dem Beispiel von Jesus möchte ich mich orientieren.

Es ist auch eine Frage der Orientierung: Suche ich nach Argumenten um meine dogmatische Positionen zu untermauern, bin ich auf der Suche nach einem objektiven Text den ich kontrollieren kann? Oder suche ich aber nach Hilfe für mein Leben, reicht mir ein subjektiv gefärbter Text aus und ich bitte Gott um Hilfe in der Interpretation und Wegführung, sodass Gott mich kontrolliert.

5. Die heutigen Übersetzungen der Bibel sind ebenfalls Gottes Wort.
Jesus sprach aramäisch und dennoch haben wir nur einen Grundtext dieser Worte im Griechischen. Die Übersetzung, welche versucht Gottes Botschaft in der Kultur zu verstehen und nahe am Grundtext und in einer verständlichen kommunikativen Sprache zu übersetzen, ist eine gute Übersetzung. Die Unverständlichkeit kann sich vergrößern indem entweder die Kultur nicht verstanden wird, zu oberflächlich oder zu akribisch übersetzt wird. Wir vertrauen darauf, dass Gott die Menschen in der Übersetzungsarbeit führt, so wie Paulus auf die griechische Version des Alten Testaments (Septuaginta) vertraut und zitiert. Für Paulus ist die Übersetzung (Septuaginta) Gottes Wort. Man könnte sagen, dass der Inhalt wichtiger ist als die Form. Aber die Form prägt hier ebenfalls den Inhalt und transportiert die Inhalte.

 6. Gottes Wort ist uns als Literatur überliefert.
Viele Literaturformen kommen in der Bibel vor und wollen auch als solche verstanden werden. Nicht jeder Psalm kann für eine geschichtliche Datierung verwendet werden, sondern ist primär ein Psalm, d.h. ein Gedicht, ein Lieder oder ähnliches. Ein Brief von Paulus ist ein situationsbezogener Brief und nicht jeder Satz kann als Dogmatik für alle Zeiten gelten.

7. Die Auslegung des literarischen & historischen Kontext hat Vorrang gegenüber einer systematisch-dogmatischen Interpretation.
Gottes Wort findet sich nicht in systematischen Dogmen sondern in der Literatur des Alten und Neuen Testaments. Gottes Wort stellt sich nicht nur durch Gesetze sondern auch durch Briefe, Erzählungen, prophetische Offenbarungen und vielen anderen Literaturformen dar.

8. Gottes Wort interpretiert für uns Gottes (Heils-)Geschichte
Der Bibeltext ist nicht mit der Geschichte gleichzusetzen. Der Bibeltext verfolgt immer eine theologische Stoßrichtung. Die Bibel ist unser Hauptzeuge von Gottes Offenbarung in der Geschichte. Aber sie ist nicht nur ein Zeuge sondern selbst eine Offenbarung Gottes, sie ist Gottes Interpretation der Geschichte („Words are not the things themselves. Words only point to the things and tell us about things.“ Sailhamer, Pentateuch, S.19). Ja die Schrift hat sogar, wie Schlatter es formuliert, auch die Macht das sie „wieder Geschichte schafft“ (Schlatter zitiert in: Grundfragen der Schriftauslegung, Hempelmann, S.29). Gottes Interpretation der Geschichte hat Vorrang vor unserer Rekonstruktion von Gottes Offenbarung in der Geschichte („Heilsgeschichte“).

9. Die Autoren des Bibeltextes füllen die Sprache mit eigenen Inhalten
– d.h. intertextuelle Wortstudien haben Vorrang gegenüber historischen etymologischen Wortstudien (Bsp. „Good bye“ kommt von „God be with you“. Heut zu Tage meint wohl kaum einer noch den etymologischen Wortsinn bei „Good bye“; Ausnahme Hapex Legomena (Wörter die nur einmal in der Bibel vorkommen))

10. Die Autoren der einzelnen Bücher verfolgen eine Aussage in ihrem Kontext. Es liegt an uns, diese Kernaussage in ihrem historischen Kontext zu entdecken.
Der Bibeltext kann noch mehrere Aussagen beinhalten (z.B. Prophezeiungen), aber diese müssen durch die Bibel selbst ausgelegt werden.
„Denn wenn es jedem beliebigen gestattet ist, je nach der eigenen Willkür Folgerungen und Bildreden in der Schrift zu erdichten, was wird dann die ganze Schrift anders sein, als ein Rohr, das vom Winde hin- und hergetrieben wird, oder irgendein Vertumnus?“ (Luther zitiert in: Grundfragen der Schriftauslegung, Hempelmann, S.22)

11. Gottes Wort eröffnet sich uns nur durch Gottes Geist
„Die heilige Schrift will gehandelt sein mit Ehrfurcht und Demut, und will mehr ergründet werden mit andächtigem Gebet als mit scharfer Vernunft.“ (Luther zitiert in: Grundfragen der Schriftauslegung, Hempelmann, S.19)
Erkenntnis entsteht über das Leben mit Christus. Fakten sammeln (z.B. über die Ehefrau) geht, aber es entsteht daher keine Beziehung.